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Anthropologie: Bestattung 1 – die geheimnisvolle Litzlbergerin

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Anthropologie: Bestattung 1 – die geheimnisvolle Litzlbergerin

Von Bestattung 1 liegt beinahe das gesamte Skelett in relativ vollständigem Zustand vor (einige Teile bruchstückhaft). Die Knochen sind dunkelbraun-schwarz gefärbt und von fragil-poröser Substanz. Zudem finden sich an etlichen Skelettknochen feinkörnige, metallene Auflagerungen, die wahrscheinlich von metallenen Bekleidungsapplikationen stammen.

Die anthropologische Sterbealters- und Geschlechtsdiagnose ergab, dass es sich um eine zwischen dem 51. und 70. Lebensjahr (spätmatur-frühsenil) verstorbene Frau mit einem komplexen Krankheitsbild handelt. Ihrem Knochenbau nach war sie sehr grazil mit deutlich ausgeprägten Muskelmarken – vor allem an den Oberarmknochen. Ihre Körperhöhe konnte mit 155 cm als „mittelgroß“ errechnet werden. Die für die Geschlechtsbestimmung erforderlichen weiblichen Merkmale entsprechen in vollem Umfang der Diagnose.

Für das fortgeschrittene biologische Sterbealter sprechen der Gesamtzustand aller Knochenteile sowie die hohen Abnutzungs-/Degenerationsgrade der Gelenke, der Wirbelsäule oder auch der Arme und Beine, außerdem der starke Abbauungsgrad des Kiefer- und Zahnapparates. Hier fällt besonders der zu Lebzeiten (intravital) erfolgte Zahnverlust der Frontzähne am Oberkiefer auf. Der völlige Abbau der Zahnhaltefächer und die Deformierung des Kieferknochens lassen den Schluss zu, dass es bereits etliche Jahre vor dem Ableben zum Zahnverlust kam. Ob infolge eines Unfalls oder durch Gewalt kann nicht mehr geklärt werden. Jedenfalls waren nur die Zähne betroffen, da sich im Umfeld keine Frakturlinien feststellen lassen. Auch im Unterkiefer kam es zum intravitalen Verlust des linken ersten Mahlzahnes. Der Kiefer insgesamt ist sehr schmal und die dritten Molaren (die sog. Weisheitszähne) sind nicht angelegt. Weiters sind kariöse Defekte und auch zwei sog. apicale Herde (Durchbruch von eitrigen Wurzelabszessen am Kiefer) zu diagnostizieren, einer davon in Sesamkorngröße, der andere in Erbsengröße.

Generell fehlen Hinweise auf Mangelernährung am Skelett. Nur grobe Porosierungen am harten Gaumen liefern Hinweise darauf sowie auch die krankhaften Vorgänge im Kiefer- und Zahnbereich, die sich u.a. durch sehr starken Zahnbettschwund und massiven Zahnsteinbesatz ausdrücken. Beinahe die gesamten Zähne sind vom Zahnhals bis zur Krone mit (schwarz eingefärbtem) Belag überzogen. Dies ist auch ein Zeugnis von sehr schlechter Zahnpflege und Mundhygiene, wie sie (aus Erfahrung der Autorin) in der frühen Neuzeit besonders häufig bei Menschen höheren Standes anzutreffen sind.

An weiteren pathologischen Erscheinungen ist der Zustand der Wirbelsäule und der Gelenke aufzuzählen. So litt die Frau neben einer fortgeschrittenen Osteoporose auch an markanter Gelenksarthrose sowohl der oberen als auch der unteren Extremitäten. Die massivste Ausprägung von Spondylose (Wirbelsäulenverschleiß) ist an den zweiten und dritten Brustwirbeln, die miteinander verwachsen sind, zu beobachten. An allen Wirbelgelenken ist eine entzündliche Erkrankung (Spondylarthritis) festzustellen, die sogar zum Einbruch einer Deckplatte eines Brustwirbels geführt hat. Diese Erkrankungen des Achsenskelettes sind nicht nur dem fortgeschrittenen Alter geschuldet, sondern sind auch das Ergebnis eines fordernden Lebensstils, der nicht vordergründig von direkter körperlicher Arbeit geprägt war. Dazu genügt bei einer zarten Konstitution auch eine häufige Fortbewegung auf einem Pferd, die sich bei der Verstorbenen durch die deutlich ausgeprägten Reiterfacetten an den Oberschenkelknochen belegen lässt.

Die schwersten Defekte zeigen sich an den weitgehend zerstörten und deformierten Hand- und vor allem Fußgelenken. Die Fußwurzelknochen sind mit den Mittelfußknochen und zum Teil auch mit dem Schienbeingelenk verschmolzen. Auch die wenigen vorhandenen Reste des rechten Handskelettes weisen auf krankhafte Veränderungen hin. So liegen vom fünften Finger die verkrümmt verwachsenen Endglieder vor. Solche degenerativen Veränderungen sind auch an weiteren Gelenken festzustellen. Sie sind typisch für eine massive Stoffwechselerkrankung, nämlich der Gicht (Arthritis urica). Diese „Krankheit der Könige“, wie sie schon früh genannt wurde, tritt im Laufe der Geschichte in Zeiten des Überflusses bzw. in Kreisen, die in Überfluss lebten, verstärkt auf. Normalerweise ist die Harnsäurekonzentration bei Männern höher als bei Frauen und die Erkrankung ist somit häufiger bei Männern als bei Frauen anzutreffen. Jedoch kann die Konzentration, bei einer Ernährung, die überreich an tierischen Eiweißen ist, zu hormonellen Veränderungen führen, nach den Wechseljahren ansteigen und den gleichen Wert wie bei Männern erreichen und chronisch werden. Die Folgen sind nicht nur das Anschwellen der Gelenke bis zum „Aufplatzen“ der Haut (d.h. offene Stellen) über den Gichtknoten und massive Schmerzen, sondern auch die durch die Gelenksdeformierungen und Knochenfusionen verursachte Einschränkung in der Fortbewegung.

Dies traf auch alles bei der Verstorbenen zu, die sich am Ende ihres Lebens wohl nicht mehr allein fortbewegen konnte. Selbständiges Gehen war kaum mehr möglich. Eine Zeit lang hat sie es sicher geschafft, sich mit Krücken fortzubewegen. Davon zeugen die kräftigen Muskelansätze an den Oberarmen. Doch die schlanken und wenig markanten Kannelierungen an den unteren Extremitäten beweisen, dass sie die letzte Lebenszeit inaktiv und auf Hilfe angewiesen war und wohl getragen werden musste.

[Silvia Renhart, ANTHROPOLOGIN]

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Kommentare:
  1. S Traxler sagt:

    Auf Grund des durch die anthropologischen Untersuchungen festgestellten biologischen Sterbealters zwischen 51 und 70 Jahren kann es sich bei der Dame nicht um Anna Maria Engl, geb. Händlin handeln, die wesentlich jünger gewesen sein muss, als sie 1628 verstorben ist.

  2. Gerhard Landauf sagt:

    @Stefan Traxler: Gibt es schon Erkenntnisse aus der Untersuchung der Metallplatte (z. B. eine Inschrift mit Namensnennung) oder aus dem DNA-Vergleich (Verifizierung oder Ausschluss der Zugehörigkeit zur Familie Engl)?
    Weiters würde mich interessieren, ob man die rekonstruierte Tracht dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts zuordnen kann oder ob das nicht möglich ist.
    In den bekannten Stammbäumen der Engls aus dem frühen 17. Jahrhundert käme altersmäßig nur die Eva Urkaufin, gest. 31.3.1630 mit 70 Jahren und Gattin des David Engl in Frage. Ihr Ehemann, David Engl, verstarb zwar nur 1 Jahr davor, jedoch mit 79 Jahren und passt nicht zum anthropologisch bestimmten Alter des männlichen Toten (41 bis 50 Jahre).

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