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OK Friends Traumstipendium - Zwischenbericht von Jens Höffken

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@jenshoeffken
www.jenshoeffken.com
www.coaster-poems.at

Ein Zwischenbericht.

Die Vielfalt des Kontinents, das sind in diesem Sommer vornehmlich: Pandemische Maßnahmen und gravitative Gegenmaßnahmen. Mehrere meiner geplanten Stationen mussten vorab oder vor Ort durch die Pandemie leider aus dem Reiseportfolio gestrichen werden. Trotzdem ist dieser Achterbahn-Ritt quer durch Europa und quer durch Corona besonders in diesem Jahr interessant. Vergnügungsorte waren in Krisenzeiten schon immer ein seltsamer Zerrspiegel der Gesellschaft.

Während in Italien vermummte Mitarbeiter mit Desinfektionsmittel-Rucksäcken nach jeder Fahrt die Wagen aussprühen, erlebe ich wenige Tage später den dänischen Tivoli so voll wie nie zuvor. Besuchermassen schieben sich Bauch an Rücken und maskenfrei rund um die 1914 erbaute Scenic Railway namens „Rutschebanen“. Die Wartezeiten betragen Stunden.

Ein belgischer Park wird doppelt getroffen. Mitten in der Pandemie kommt die Flut. Nach mehrmonatigen Aufräumarbeiten ist der Park schließlich noch für zwei Saison-Wochenenden geöffnet, aber Besucher kommen kaum. Die Rollläden der Buden bleiben überwiegend unten. Eine handvoll Neugieriger fährt die eigentlich als Werbecoup für dieses Jahr geplante Groß-Achterbahn aus Liechtenstein (gewissermaßen einen Porsche unter den Achterbahnen). Gleichzeitig schallt Whitney Houston in das melancholische Chagrin rund um den unbesuchten, zentralen See des Parks.

Die Schweden haben zwar keine Corona-Maßnahmen, dafür aber eigenwillige Bürokratien entwickelt. Parkbesuche müssen nun teilweise Monate im Voraus gebucht werden und finden in zwei Schichten statt. Mittags um zwei wird der Morgenstoß hinausgeworfen und der Nachmittagsandrang hineingelassen. So kann der – zu beiden Zeiten aus allen Nähten platzende – Park bei gleichgebliebenem Eintritt zwei Saisontage pro Tag abhalten.

Wieder in Italien, schließen mehrere Parks unangekündigt am Tag des geplanten Besuchs. Ganz anders in Großbritannien! Dort öffnen mehrere Parks, die offiziell als geschlossen galten, plötzlich unangekündigt ihre Tore.

Das Filmen mit der umgeschnallten GoPro erweist sich im Sommer des Südens zunächst als unmöglich. Einfach mit der Kamera über dem T-Shirt einsteigen, da zeigen einem die Ride-Operatoren den Vogel. Ich muss also im Herbst wiederkommen, wenn ich die Kamera wie im Norden unter der Jacke tragen und beim Aufstieg am Lifthügel den Reißverschluss öffnen kann. Vielleicht ist das überhaupt eine der schönsten Herausforderungen der Reise: Sich das Material klandestin zu erschmuggeln und dabei die Poesie nicht zu vergessen.

Achterbahnen können beides sein: Unpoetische und kalte Orte einer unsinnlichen Konsumwelt, aber manchmal auch das genaue Gegenteil. In Blackpool Pleasure Beach beispielsweise, an der britischen Westküste, fahre ich gleich mehrere Achterbahnen, die bald hundert Jahre bestehen. Und es ist die Mischung aus noch spürbarer, technischer Avantgarde und dem nachhallenden Staunen der damaligen Zeit über das, was sich der Mensch da plötzlich ausgedacht hat! Das hält diese Bahnen so jung.

Diese Strahlkraft des Sensationellen lässt sich auch bei manchen neuen Erfindungen wiederentdecken. Das Höher, das Schneller und das Weiter sind keine Parameter der wirklich herausragenden Neuheiten mehr. Da geht es nicht mehr um Thrill oder Adrenalin. Die echten Neuerfindungen, die es mit der Poesie der frühen Achterbahnen aufnehmen können, setzen auf die Schönheit der Fahrt, gefühlt wie architektonisch, auf sanftes Rollen, auf Figuren des Kunstflugs und auf eine durchgängige Dramaturgie, in der sich die Fahrthöhepunkte nicht wie früher abbauen, sondern sich kontinuierlich aufschwingen.

Noch kurz vor dieser Pandemie begann das „dritte Zeitalter“ der Achterbahnen. Nach den Roaring Twenties und dem technologischen Boom der Neunziger gab es eine weltweite Wiederentdeckung des Schaugeschäfts, die schlagartig hunderte neue und neuartige Bahnen hervorbrachte. Man muss darauf hoffen, dass die zweiten wilden Zwanziger bald wirklich beginnen dürfen und alles durch Corona in den Schubladen liegen Gebliebene bald gebaut wird. Katastrophen brauchen auch ihre hedonistische Spiegelung.

Nächster Halt: Madrid. Auf der Suche nach der spanischen Atracción de Acero und auf der Suche nach der verlorenen Airtime. Es entstehen Videos und Textobjekte. Die Begleitmusik im Blogformat ist nachzulesen unter:
Coaster-poems.at
Foto: https://www.instagram.com/p/CXbQ8glMR0O/?utm_source=ig_web_copy_link

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